Premiere bei der Digitalen Akademie „Insight Out“: Am 28. April 2022 gab es im Rahmen des Pädagogiktages der jazzahead! in Bremen ein Live-Panel zu Jazzvermittlung. Nicht nur die Expert*innen auf dem Podium waren erstmals während der Digitalen Akademie zusammen vor Ort, auch ein kleines Publikum konnte bei der abwechslungsreichen Diskussion live dabei sein. Für alle anderen wurde die Veranstaltung wie gewohnt gestreamt.
Für diesen Tag hatte die Jazzpilot*innen-Arbeitsgruppe Jazzprofessorin Anne Mette Iversen, Leiterin des Studiengangs Jazz an der Hochschule Osnabrück, die freiberufliche Gesangspädagogin Mascha Corman, der an der Hochschule für Musik in Mannheim forschende Musikpädagoge Dr. Frank Dorn und Professorin Anette von Eichel, Dekanin des Fachbereichs Jazz Pop der Hochschule für Musik und Tanz Köln eingeladen. Jakob Fraisse von der Deutschen Jazzunion und Sina-Mareike Schulte von Musikland Niedersachsen moderierten das Gespräch.
Schon im Vorfeld hatte die Jazzpilot*innen AG herausgearbeitet, dass dieses Thema dringend neue Ideen und Ansätze braucht und auch meine persönlichen Erinnerungen an den Musikunterricht in der Schule sind übersichtlich und wenig inspirierend. Musik gemacht habe ich nur privat und in der Schulbigband einer anderen Schule, die von einem(!) engagierten Lehrer geleitet wurde. In meinem Musikpädagogikstudium war ich dann überrascht, dass viele meiner Kommiliton*innen bereits im ersten Semester für sich ausschließen zu unterrichten – und das oftmals ohne je unterrichtet zu haben. In meinem Umfeld war ich einer der wenigen, die schon vor dem Studium gerne unterrichtet haben. Dabei werden Musikpädagog*innen händeringend gesucht und die Arbeitsmöglichkeiten sind vielfältig. Das Image des Lehrens scheint bei Musiker*innen aber nicht gegen eine Bühnenkarriere anzukommen - auch wenn es in Deutschland schon seit langem kaum Jazz-Musiker*innen gibt, die ausschließlich von Konzertauftritten leben können.
Auch Panelteilnehmerin Mascha Corman kennt diese in vielen Köpfen strikte Trennung von Pädagogik und Kunst. Sie hat sowohl Musik auf Lehramt als auch Jazz mit künstlerischem Schwerpunkt studiert. Ohne das künstlerische Studium fehlte ihr „die Wertigkeit“ ihrer Musik. Heute sieht sie diese Trennung und die damit einhergehende Abwertung des Pädagogischen kritisch. „Eine gute Pädagogin zu sein ist auch eine Kunst“, und „es spricht nichts dagegen, auch in der Pädagogik künstlerisch zu arbeiten“, sagt sie. Mit ihrem Kinderkonzertprojekt „Caribu“ hat sie schon „die gesamte Kölner Jazzszene gefeatured“, und niemand der eingebundenen Musiker*innen habe dabei den persönlichen Spielstil einschränken oder sich zurücknehmen müssen. Gerade die individuellen Fertigkeiten auf dem Instrument sollen bei „Caribu“ eine Rolle spielen. Jedes Konzert wird dadurch einzigartig und besonders – auch für die Kinder im Publikum. Es scheint also durchaus Wege zu geben, auch auf künstlerisch hohem Niveau Jazz zu vermitteln.
Während ihrer Zeit in New York hat Jazzprofessorin Anne Mette Iversen eine andere Selbstverständlichkeit von Jazz-Pädagogik kennen gelernt. „Jazz is a way of life – an attitude“ – eine Lebenseinstellung. „Man gibt weiter, was man weiß“, das war im Jazz schon immer so, auch bei den ganz Großen. Iversen spielte Konzerte für Kinder in Jazzclubs, mit dem gleichen Programm, das sie abends auch für erwachsenes Publikum gespielt hat. So werde ein lebensnaher und emotionaler Zugang für Kinder zur Musik geschaffen, berichtet die Bassistin und Komponistin. „Auch die Kleinen finden Jazz spannend!“ An der Hochschule in Osnabrück achtet sie darauf, dass Kunst und Pädagogik immer miteinander verschmelzen. Dozierende sollen „starke Musikerpersönlichkeiten“ und Pädagog*innen und damit Vorbilder für Studierende sein. Eine Trennung von erfolgreicher Konzertkarriere und Unterrichtstätigkeit gibt es dort nicht. Alle Dozierenden spielen auch regelmäßig (inter)national.
Was bedeutet das konkret für die Jazz-Ausbildung der Zukunft? Die Jazzsängerin und Hochschulprofessorin Anette von Eichel schlägt vor, dass es ein Umdenken in den Hochschulen und Ministerien geben muss. Lineare Lehrpläne müssten gegen offenere Formate ausgetauscht werden. Studierende sollten die Möglichkeit bekommen, erst während des Studiums zwischen beruflichen Schwerpunkten zu wählen, egal ob Lehramt, Musikpädagogik oder künstlerisches Profil. Alle fangen gemeinsam im gleichen Studiengang an, können sich ausprobieren und je nach Interessen im Verlauf des Studiums spezialisieren. „Junge Menschen wissen zu Beginn des Studiums oft noch nicht, wo ihre Stärken und Interessen liegen. Sie brauchen Zeit, sich auszuprobieren und ihre Persönlichkeit zu entwickeln.“ Gleichzeitig berge der Jazz und die Improvisation großes Potential in der Pädagogik.
Musikpädagoge und Wissenschaftler Frank Dorn pflichtet dem bei: „Improvisation kann als positives Tool im Lehramtsstudium eingesetzt werden.“ Egal ob Erzieher*innen oder Lehrer*innen, auch im außermusikalischen Berufsalltag müsse ständig improvisiert werden. Ideen aus der Musikpraxis und aus dem Leben von improvisierenden Musiker*innen könnten unerfahrenen Kolleg*innen helfen. Jazzmusiker*innen seien zudem „transkulturelle“ Kulturvermittler*innen. In kaum einer anderen Kunstform verbänden sich so viele Elemente aus unterschiedlichsten Gesellschaften. Und gerade heute könne mit Jazz in Schulen ein Gros der Schülerschaft abgeholt werden, „deren Lieblingsmusik, egal wo sie herkommen, in der Regel einen Jazzbezug hat.“ Dies zu erkennen und den Kindern zu vermitteln, habe wiederum einen großen wechselseitigen Einfluss auf die Jazzszene, denn es entstehe eine musikalische Offenheit – und ein neues Publikum.
Das Prinzip von „Educating Artists“, wie Anne Mette Iversen es nennt, ist sicherlich ein wichtiger Schritt, um eine nachhaltige Aufwertung von Jazz-Pädagogik in die Wege zu leiten. Am allerwichtigsten sei es aber, Kultur nicht mehr als Luxus zu verstehen und die prekären Arbeitsbedingungen zu verändern. Mit dem Synergie-Potential, dass die Jazz-Pädagogik bietet, sei sie ideal, um ein politisches Umdenken in die Wege zu leiten.
Link zum Video der Veranstaltung: https://youtu.be/0crb142nP9I
Jan Monazahian
Seit April 2022 arbeitet Jan Darius Monazahian als studentischer Mitarbeiter für die Deutsche Jazzunion. Er unterstützt die Öffentlichkeitsarbeit der Digitalen Akademie „Insight Out“ und plant den Aufbau einer Veranstaltungs-Mediathek. Bereits seit Sommer 2021 ist er am Projekt Jazzpilot*innen beteiligt und dokumentiert die laufende Projektphase.
Neben seiner Tätigkeit bei der Deutschen Jazzunion studiert Jan Jazzflöte am Institut für Musik an der Hochschule Osnabrück. 2018 schloss er außerdem einen Master in visueller Anthropologie an der Georg-August-Universität Göttingen ab und forschte zu Improvisation im Alltag und Jazzpädagogik in Deutschland. Jan wohnt und arbeitet in Osnabrück.
Kontakt
Deutsche Jazzunion e. V.
Markgrafendamm 24 - Haus 16
10245 Berlin
Deutschland
post@deutsche-jazzunion.de
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